Recht, Ordnung und der Straßenverkehr

Als grüner Kandidat für das Parlament erlaube ich mir ein paar Worte zu dem, was ParlamentarierInnen vor allen Dingen produzieren: Gesetze. Und wie unterschiedlich sie verstanden werden können.

Autofahren habe ich während eines verregneten Sommers gelernt – in Norwegen (dort gibt es viele verregnete Sommer…). Ganz privat, ohne Fahrschule, von einer sehr entspannten Lehrerin, und für meine damaligen Begriffe unorthodox. Das erste, was sie mir beigebracht hat, war nämlich nicht Gasgeben, sondern: Zeit lassen. Zeit lassen und langsamer werden vor jedem Zebrastreifen, vor jeder Schule, überhaupt vor jedem Ort, wo Menschen am Straßenrand gehen, laufen oder stehen. Erst danach habe ich gelernt, auf Verkehrszeichen und Ampeln zu achten. Erst der Blick auf die Straße und ihren Rand, dann der Blick nach oben, auf die Ampel – so wurde mir das beigebracht. Vorausschauende Rücksicht ist im norwegischen Straßenverkehr völlig selbstverständlich, und tatsächlich hat mich in Norwegen nie (!) auch nur eine/r hinter mir angehupt, wenn ich vor Zebrastreifen gebremst habe, selbst wenn da weit und breit niemand zu sehen war. 

Hierzulande denken Autofahrer (ja, ich rede hier vor allem von Männern) in der Regel umgekehrt. Der Blick nach oben – auf die Ampel, oder auf Vorrangtafeln – zeigt ihnen, ob sie fahren dürfen, und wenn sie „dürfen“, dann tun sie das auch. Dann wird häufig Stoff gegeben, komme, warte und stehe was da wolle. Von den OrganisatorInnen des „frighday-night-skatings“ habe ich in diesem Zusammenhang eine kleine Geschichte gehört: für den oft kilometerlangen Zug an SkaterInnen und RadfahrerInnen, der sich da allfreitäglich durch Wien bewegt, muss der Querverkehr an allen Kreuzungen natürlich angehalten werden. Früher haben sich Polizei und / oder SkaterInnen dazu einfach den Autos in den Weg gestellt – Hupkonzerte und Autofahrerwut waren die Folge. Heute regelt die Polizei, die diesen Zug regelmäßig begleitet, alle vorhandenen Ampeln händisch und stellt sie so lange auf Rot, bis der Zug vorbeigerauscht ist – und siehe da: die Autofahrer warten geduldig ab. Rot ist Rot, Ampel ist Ampel. Das ist der österreichische Zugang. 

Nun ist es in Norwegen nicht so, dass es keine Verkehrsvorschriften gäbe oder dass sie nicht beachtet werden, im Gegenteil. Die norwegische Straßenverkehrsordnung unterscheidet sich von der österreichischen auch nur marginal. Aber die Leute scheinen sie nicht deshalb zu beachten, weil sie so geschrieben steht – sondern weil ihnen Rücksichtnahme selbstverständlich ist (freilich auch,  weil sie ihnen auf kluge Weise beigebracht wurde: in Norwegen sind Schleuderkurse in der Fahrausbildung üblich, und im Zuge dieser Kurse kriegen die TeilnehmerInnen von links und von rechts Sandsäcke und andere Hindernisse vors Auto geworfen, dass es nur so scheppert. Währenddessen krähen die FahrlehrerInnen am Nebensitz fröhlich: bravo! Das war jetzt ein kleines Kind! Heißa, schon wieder eine Mutter mit Kinderwagen! Spätestens beim dritten Sandsack haben es auch die letzten begriffen: sei vorsichtig, nimm Rücksicht, und bremse, bevor es kracht). 

Ich habe eine Vermutung: da geht es um mehr, nämlich ein anderes kollektives Verständnis davon, was Regeln und Gesetze sind und vor allem, für wen sie da sind: der eine, für mich eher österreichische Blick richtet sich zuerst nach oben, auf die Ampel oder „das Gesetz“. „Recht muss Recht bleiben“ heißt das dann, das Gesetz steht im Vordergrund. Was mir erlaubt ist, das tue ich auch, sollen die anderen sehen, wo sie bleiben, bedeutet das im – leider gar nicht seltenen – Extremfall. Der andere, für mich eher norwegische Blick ist zunächst wagerecht, er richtet sich erst vorn und rundherum, auf die Anderen, die auch noch da sind, und erst danach nach oben. Ampeln, Recht und Gesetz sind da, um Menschen zu schützen und zu leiten – aber zunächst einmal geht es um sie: um die Menschen um uns herum. 

Wie gesagt, das ist eine Vermutung, ein Gefühl. Wenn es diesen Unterschied wirklich gibt, dann hat er viele Gründe: Bildung, Einkommen, soziale Sicherheit sind nur einige. Damit das klar ist: mit nationaler Herkunft oder gar einer „Rasse“ hat das nicht das Geringste zu tun. Das vorausgeschickt traue ich mich zu sagen: 

Egal, in welcher Sprache sie geschrieben werden, wenn es um Gesetze geht, bin ich wohl Norweger.

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