Sich über die hypo ärgern, aber die Einwanderungspolitik ignorieren – eigentlich pervers.

Zwei kleine Pressemeldungen machen deutlich, wie dringend ein Kurswechsel in Österreichs Einwanderungspolitik wäre.

Ganze 1.702 rot-weiß-rot-Karten wurden 2013 österreichweit erteilt, hat jetzt eine parlamentarische Anfrage der NEOS (verbesserungsfähige homepage übrigens, noch keine Zeit dafür gehabt?) ergeben. Die Presse berichtet darüber am 27.03.2014. Auch darüber, dass das Sozialministerium das ganz ok findet, könnte sich Österreich doch „bei Bedarf“ ohnehin am EU-Markt mit Fachkräften eindecken.

Das stimmt zwar auf den ersten Blick: Fachkräfte aus der EU brauchen tatsächlich keinerlei Bewilligungen, und keinen monatelangen bürokratischen Kleinkrieg, um sie zu erhalten, wenn sie in Österreich arbeiten wollen. Nur: sie wollen es nicht. Nicht genug von ihnen, jedenfalls. Am 01.04.2014 berichtet die NZZ wieder einmal, was ohnehin längst bekannt ist: Österreich und seine Wirtschaft leiden unter einem massiven brain-drain, einem Abwandern von bis zu 10.000 (!) gut ausgebildeten Menschen jährlich. Und das ist schon die Netto-Zahl, die sich also ergibt, wenn man die Zahl der Rückkehrer und Zuwanderer von der Zahl jener abzieht, die gut ausgebildet in die große weite Welt ziehen.

Jetzt kann man darin einen Beleg für die Qualität der Aus- und Weiterbildung in Österreich sehen, das wäre auch gar nicht falsch. So schlecht ist unser Bildungssystem trotz aller Pisa-Debatten nicht, wie es gerne schlechtgeredet wird. Bloß: das hilft nichts, wenn diese Bildung dann abwandert. Der alljährliche Verlust von tausenden, ja manchmal zehntausenden gut ausgebildeten Menschen kann á la longue, so meint die NZZ sogar, zu einem noch größeren Problem als die hypo-alpe-adria werden – und das will was heißen.

Das ist beides nicht neu. Derartige Zahlen werden immer wieder veröffentlicht, ähnliche Berichte finden sich auf den Wirtschaftsseiten so gut wie aller österreichischen Tageszeitungen, die sich so was überhaupt noch leisten. Der brain-drain ist bekannt, sein Ausmaß ebenso, und auch seine finanziellen und wirtschaftlichen Langzeitfolgen.

Was ist da los? Liest man im Innen- und im Sozialministerium denn gar keine Zeitungen mehr, hat man gar keine mehr, sind die alle dem hypo-Rotstift zum Opfer gefallen? Wohl kaum, abgesehen davon: das alles findet sich auch gratis im Netz (zur Gratiskultur vielleicht ein ander mal). Nein, es wird seit Jahren geflissentlich ignoriert und verdrängt. Weil es – ebenfalls seit Jahren – innenpolitisch nicht opportun ist, zu sagen, dass Österreich Einwanderung gerade von qualifizierten Menschen aus Nicht-EU-Staaten braucht wie einen Bissen Brot, oder, um das Bild zu präzisieren: um in 20 Jahren noch ein bissl Butter aufs Brot schmieren zu können.

Es schadet, so etwas „zuzugeben“. So weit hat sich Österreichs Politik nämlich schon in ihre Xenophobie verrannt, dass das Äußern einer simplen, allgemein bekannten Tatsache – wer nicht genug Fachleute hat, verliert – und der Konsequenz daraus – also holen wir sie uns, bevor es andere tun! – einem peinlichen Eingeständnis gleichgehalten wird. Wäre es ja, recht besehen, auch: seit Jahren hat die am Boulevard und der FPÖ orientierte „Einwanderungs“politik (die eigentlich nicht einmal diesen Namen verdient) schon zu diesem brain-drain beigetragen, die Folgen lassen sich jetzt schon errechnen und zum Teil gar nicht mehr beheben. Weil Fehler bei der Einwanderungspolitik sich nömlich vor allem langfristig niederschlagen und dann nicht ad hoc korrigierbar sind, ähnlich (wenn auch nicht so ausgeprägt) wie Entwicklungen in der Gesamtbevölkerung nur über Jahrzehnte beeinflussbar und korrigierbar sind.

Um diesen kurzfristigen Schaden – von der eigenen Partei, der Zahl der eigenen Vorzugsstimmen, oder einfach der aktuellen Umfrage – abzuwenden, nimmt Österreichs Politik seit Jahren sehenden Auges und wohlinformiert in Kauf, dass wirtschaftlicher Schaden in Milliardenhöhe uns (manchmal sogar unmittelbar, oft erst nach 5 bis 10 Jahren), um so mehr noch der nächsten Generation auf den Kopf fällt.

Das hat freilich noch einen weiteren, tiefer liegenden Hintergrund: die weit verbreitete Bildungsfeindlichkeit in großen, bei Wahlen mitentscheidenden Teilen unserer Bevölkerung. Das berüchtigte „wos-brauch-ma-des“ ist, in welchem Dialekt auch immer, noch weit verbreitet, wenn es um Kolleges, Fachhochschulen und Universitäten geht. Und jenen, die auf diese Schulen und Universitäten gehen, wird immer noch ein prfundes Misstrauen, manchmal sogar offener Hass, entgegengebracht. Und bei der rot-weiß-rot-Karte geht es halt um genau diese „Großkopferten, die glau’m, sie san wos bessers“ – die MinisterkollegInnen für Inneres und Soziales können sich daher des Applauses sicher sein, wenn die Zahl dieser Karten weiterhin nur ein Dritten bis Viertel dessen beträgt, was ursprünglich (aus gutem Grund) angestrebt wurde (und – siehe die Zahlen oben – immer noch zu wenig wäre).

Viele in Österreich sind derzeit wütend auf fast alle, wenn nicht „die Politiker“ (der Volksmund kennt kein Binnen-I) überhaupt, wegen der Vorgänge rund um die hypo. Und sie haben nicht so ganz unrecht damit. Zugleich applaudiert die Mehrheit eben dieser wütenden Bürgerinnen und Bürger der selben Politik dabei, wie nicht „bloß“ ein paar Milliarden Euro Schaden in einem Jahr verstaatlicht werden, sondern Milliarden von Euro jährlich und für viele Jahre , schlimmstenfalls Jahrzehnte verschenkt, verjuxt, verbraten werden – weil man auf Teufel komm raus alles aus Österreich fernhalten zu müssen glaubt, was irgendwie „fremd“ aussieht. Und wenn dieses „Fremde“ drei Uni-Abschlüsse hat, um so mehr, und dabe ist es uns dann ganz egal, dass der selbe Mensch bei uns für die Beschäftigung von zig-und-achtzig Arbeitskräften garantieren könnte.

Das ist, was eine große Zahl von WählerInnen betrifft, zwar objektiv irgendwie pervers: ich ärgere mich über einen Schaden, klatsche aber jenen zu, die mir noch größeren zufügen, aber subjektiv verständlich: weil so gesehen die möglichen InhaberInnen einer rot-weiß-rot-karte doppelt fremd sind. Aber wenn diese Ablehnung eins zu eins von verantwortlichen MinisterInnen, die es besser wissen (nicht nur wissen müssten. Sie wissen es), umgesetzt wird, ist das auf den ersten Blic zwar logisch, auf den zweiten aber, nun ja: befremdlich.

Zuwanderungspolitik ist in ganz besonderem Maße verantwortungsvoll: Denn hier wird, so wie zB auch im Bereich Bildung, Zukunft ganz massiv vorweg-gestaltet, ja zum Teil überhaupt erst möglich gemacht – oder aber unmöglich. Sie sollte sich schon deshalb nicht einzig und allein an der tagespolitischen Verfassung orientieren.

Anders gesagt: ein Kurswechsel hin zu einer wirklichen, ehrlichen Einwanderungspolitik wäre schon ziemlich not-wendig. Auch wenn er erst beworben werden müsste, so wie die Stimmungslage momentan ist. Aber schlecht bis aussichtslos war die „Stimmungslage“ auch in Sachen Mariahilferstraße (ja, gut, hinkt.), jedenfalls für die Grünen, denen alle Welt einen bösen Bauchfleck vorhersagte. Irgendwie haben sie das trotzdem hingebogen, gar nicht schlecht. Und wer weiß: wenn es darum ginge, für einen solchen, echten Kurswechsel eine g’scheite Kampagne zu fahren, es könnte sein, dass die Grünen dafür sogar mal ihre Werbeagentur herborgen.

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