Der Feind meines Feindes ist mein Freund? Zur linken Debatte über die Krim, die Ukraine et.al..

Angesichts des Diskurses „zur Krim“ fühle ich mich zurückversetzt in die 1980er – bloß, dass ich mich von manchen Linken in ein Eck mit jenen gestellt sehe, die ich damals massiv kritisiert habe. Woran liegt das?

Vorweggeschickt: ich bin Rechtsanwalt, also Jurist, aber kein reiner Völkerrechtler. Ich war lange Jahre höchst aktives Mitglied der Friedensbewegung der 1980er (und musste mir damals schon so manchen Vorwurf der nützlichen Idiotie uvm. anhören, damals halt als nützlicher Idiot „der Russen“…). Und ich habe die Kriege der NATO und der USA im Irak, in Afghanistan und davor auch anderswo seit jeher kritisiert, ebenso wie zB Russlands brutale Kriege in Tschetschenien.

Ich staune immer wieder über die Vehemenz der Debatte rund um die Entwicklungen in der Ukraine, der Krim, Russland et.al – und die immense Bereitschaft, einander Positionen zu unterstellen, die nicht mal im Ansatz vertreten werden. Deshalb erlaube ich mir einmal den Versuch einer Positionsbestimmung:

Dass NATO und EU gegenüber Russland in den letzten Jahrzehnten – auch – eine äußerst fragwürdige Politik betrieben haben (und dabei auch in der Vergangenheit gegebene Versprechungen – keine weitere Osterweiterung der NATO zB – gebrochen haben) steht außer Zweifel. Dass viele Staaten der EU und die USA speziell in der Vergangenheit Völkerrecht gebrochen haben, ditto. Schließlich sollten wir uns alle eingestehen, dass die jüngsten Entwicklungen in der Ukraine äußerst vielschichtig sind, dort eine Vielzahl von Akteuren zugange war und ist, auch rechte und rechtsextreme – aber dass zugleich angesichts dieser Vielschichtigkeit eindeutige, gar einseitige Urteile jedenfalls momentan einfach verfrüht wären. Wir wissen doch noch nicht einmal, wer am Maidan aller aktiv war, ob und wer dort „das Sagen“ hatte, ja nicht einmal, wer am Ende geschossen hat und auf wessen Verantwortung. Wir kennen nur vorläufige Ergebnisse, die Prozesse, die dazu geführt haben, aber noch lange nicht. Die derzeitige ukrainische Regierung als faschistisch hinzustellen halte ich angesichts ihrer momentanen personellen Zusammensetzung jedenfalls für ebenso fragwürdig wie die Beteiligung von faschistoiden, uU sogar faschistischen Kräften an den aktuellen Entwicklungen zu leugnen.

Die nach diesen Entwicklungen gesetzten Akte Russlands auf der Krim mit jenen der NATO im bzw. rund um den Kosovo zu vergleichen, halte ich allerdings, man verzeihe mir das starke Wort, für obszön. Dazu war ich damals in der Betreuung zahlreicher Flüchtlinge zu intensiv involviert, als dass ich diese Gleichstellung ohne weites akzeptieren könnte: die Evidenz für einen versuchten Genozid an der albanischen Bevölkerungsgruppe des Kosovo, verantwortet von der damaligen großserbisch agierenden politischen Führung des restlichen Jugoslawiens war und ist überwältigend. Alle zweifellos begangenen Verbrechen von UCK und anderen sowie die (innerjugoslawische, aber auch internationale) Vorgeschichte vermögen daran nichts zu ändern. Das, und die daraus von der mittlerweile überwiegenden völkerrechtlichen Lehre abgeleiteten Konsequenzen betreffend die Souveränität von Staaten und ihre Grenzen, macht den entscheidenden völkerrechtlichen Unterschied zur Situation auf der Krim aus. Wer den Kosovo bzw. den damaligen NATO-Einsatz wegen dieses versuchten Genozids (mag dieser Einsatz auch zig andere Motive MIT gehabt haben) mit der Situation auf der Krim vergleicht, möge bitte(!) noch einmal nachlesen, was es mittlerweile an Dokumenten gibt.

Verbrechen und Fehler der einen Seite, oder gar von Dritten, können zwar für Parallelen herangezogen werden (dort, wo sie sachlich zulässig sind, siehe oben) und / oder Handlungen anderer Akteure ERKLÄREN – aber nicht ohne weiters RECHTFERTIGEN. Genau das passiert in der laufenden Debatte aber pausenlos. Verwunderlich, finde ich, soweit diese Debatte von linken Intellektuellen geführt wird, die sich sonst so gern der Anstrengung des Begriffs rühmen…

Das alles ändert aber nichts an meiner bescheidenen Haltung, dass
a) Russland unter Putin derzeit Völkerrecht bricht, indem die Krim de facto annektiert wird;
b) die Politik Putins besorgniserregend ist, weil sie stark nationalistisch-großrussisch ausgerichtet ist (wohl auch, um sich nach innen angesichts der gravierenden Mängel in Russland selbst Luft zu verschaffen – Putins Beliebtheits-Werte sind in den letzten Wochen in Russland massiv angestiegen, und auch das war wohl genau kalkuliert);
c) Putins Politik in Russland selbst generell gegen so ziemlich alle Prinzipien verstößt, die von „der Linken“ in Europa hochgehalten werden (Meinungsfreiheit, Schutz von Minderheiten, Tschetschenien, Menschenrechte generell usw.usf.), worauf ich auch die momentane Unterstützung Putins durch Europas extreme Rechte (und darunter subsumiere ich auch die FPÖ) zurückführe;
und schließlich
d) dass angesichts vieler, voneinander unabhängiger Berichte internationaler Medien Grund zur Befürchtung besteht, dass Russland generell beginnt, nach außen aggressiver und expansiv aufzutreten.

Absurd an dieser Situation ist – jedenfalls auf den ersten Blick – dass die handelnden Akteure auf der großen Bühne (EU, Russland, Ukraine, die Krim…) wechselseitig extrem voneinander abhängig sind. Speziell nach der Annexion der Krim durch Russland: dreht Russland der Ukraine das Gas ab, könnte die Ukraine der Krim das Wasser abdrehen – solche Interdependenzen gibt es zuhauf, und sie sind wohl mit ein Grund dafür, dass noch kein Schuss gefallen ist in diesem halb kalten, halb heißen Krieg. Positiv ist, dass ganz offenbar auf vielen Ebenen immer noch und laufend miteinander gesprochen wird, und zwar wohl auch vertraulich. Anders ist kaum zu erklären, dass bislang rund um die Krim noch kein heißer Krieg ausgebrochen ist, wie das zB vor genau 100 Jahren der Fall war, weil man damals eben NICHT mehr miteinander geredet hat. Ich hoffe, das bleibt so, so unzufrieden ich mit dem status quo auch bin, und so besorgt ich über Putins Politik auch sein mag: Krieg ist keine Alternative.

Wovor ich, ehrlich gesagt, Angst habe: was, wenn die Krim nur der Anfang war? Was, wenn jene, die jetzt schon (ob derzeit zulässig oder nicht) Parallelen mit den 1930ern ziehen, doch noch Recht behalten? Was, wenn sich herausstellt, dass Putin sein Blatt überreizt hat – nicht gegenüber einer EU, die gar nicht anders kann, als ziemlich ruhig zuzusehen (und in der niemand, der auch nur halbwegs ernst zu nehmen wäre, von Krieg spricht!), sondern gegenüber seinem eigenen Volk, das nach monatelanger kriegerischer Propaganda kein Zurück mehr duldet? Was, wenn am Ende irgendein lokaler Kommandant doch noch die Nerven verliert?

Außenpolitik dieser Tage hat mehr als sonst schon damit zu tun, komplexe Motivlagen richtig zu erkennen und daraus auch noch die richtigen Schlüsse zu ziehen. Mit Sebastian Kurz möchte ich momentan nicht tauschen (hoffenlich haben wir zumindest das Glück, dass er sich von den richtigen beraten lässt….). Und: den Unterschied zwischen appeasement und besonnener Außenpolitik schreibt immer erst die Geschichte – oft erst mit jahrzehntelanger Verspätung.

Das unter anderem macht die Debatte so emotional: die vielen Ängste, die mitschwingen.

Und vielleicht auch ein Reflex: nach jahrzehntelanger Ohnmacht vieler Linker gegenüber einer immer dreisteren Politik der scheinbar allmächtigen USA, die sich – speziell unter G.W. Bush – einen feuchten Kehrricht um Menschen- und Völkerrecht gekümmert hat, aber selbst noch unter Obama ein Musterbeispiel für Bigotterie ist, mögen sich viele heimlich ins Fäustchen lachen darüber, dass da einer ist, der es den USA und ihren „Vasallen“ in der EU mal so richtig zeigt. Putin-Unterstützung aus anti-amerikanischem Reflex? Ich weiß nicht, ob ich mit diesem Gefühl richtig liege, es drängt sich mir halt auf angesichts vieler teils extremer, teils hämischer und höhnischer Kommentare aus der „Linken“, dich ich mir anders kaum erklären kann. Dass all diese verbal-rabiaten Linken übersehen hätten, dass Putins Russland mit der Sowjetunion außer einem Teil des Staatsgebietes kaum mehr etwas gemeinsam hat, das kann doch nicht sein. Ich hoffe wirklich, ich liege mit diesem Gefühl völlig daneben.

Und ich hoffe (wohl vergebens…), ich darf das alles sagen, ohne mir gleich wieder Klassifikationen als letzklassiger Kriegstreiber, Merkels Kettenhund usw. einzuhandeln. Dieses Vokabular irritiert mich: Nicht zuletzt, weil ich selber weder in den Irak noch nach Afghanistan einmarschiert bin (btw: dort war Russland auch ja schon mal, ist halt schon länger her), sondern damals beides kritisiert habe. Ich bin kein Vertreter von Angela Merkel & Co, sondern ein – momentan besorgter – Europäer, der sich das Recht nimmt, eine eigene Meinung zu Vorgängen zu haben, die ihn früher oder später auf vielfältige Weise auch selbst betreffen können. Und dabei versucht, zumindest einem Grundsatz zu folgen: Der Feind meines Feindes ist NICHT mein Freund.

Abgesehen davon, dass ich wo immer es geht, versuche, keine Feindschaften zu pflegen, in der Politik und anderswo.

Leute: fast alle können wir momentan in Österreich nur kommentieren, fürchten und hoffen – vielleicht gelingt es ja doch, unsere Kommentare, Befürchtungen und Hoffnungen auszutauschen, ohne einander wer-weiß-was zu unterstellen.

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