Rechtsschutz einfordern – ist das schon ein Misstrauensbeweis?

Über ein allzu vertrautes Argumentationsmuster in juristischen und politischen Diskussionen, am Beispiel „Anhaltezentrum Vordernberg“. Und: worum es bei dieser speziellen Diskussion (auch) geht.

Eben habe ich einer Podiumsdiskussion von hochrangigen Juristen (kein Binnen-I, weil nur Männer am Podium) zuhören dürfen, bei der die Beteiligung eines privaten Wach-Dienstes (G4S) im Bereich der Schubhaft (so geplant im Anhaltezentrum Vordernberg) erörtert wurde. Dabei habe ich ein Argument vernommen, das mir doch allzu vertraut war: „Wir haben doch noch nicht einmal angefangen“, hieß es da sinngemäß vom Vertreter des Innenministeriums zum Vorwurf, die zivilrechtliche Auslagerung von staatlichen Aufgaben würde den Rechtsschutz der Betroffenen untergraben. Und weiter (sinngemäß): „Warum wartet Ihr nicht einmal ab, wie’s in der Praxis wird, warum begegnet Ihr uns mit so viel Misstrauen und unterstellt uns immer gleich, dass wir gegen Verträge und/oder geltendes Recht verstoßen?“.

Hier geht es um zweierlei: 1.: um eine rechtliche Frage, und 2.: um ein fragwürdiges Argumentationsmuster (wer die rechtliche Frage überspringen will, lese unter 2. weiter):

1.:
Wenn der Staat mit bisher typisch staatlichen Aufgaben – wie der Betreuung von Häftlingen – Private mit betraut, wer ist dann für etwaiges Fehlverhalten dieser Privaten verantwortlich, politisch und (schadenersatz)rechtlich? Und: wie kommt der von einem möglichen Fehlverhalten Betroffene (also zB ein Häftling, der von einem Mitarbeiter so eines privaten Wachdienstes misshandelt wird) zu seinem Recht, wo beschwert er sich, wo kriegt er Schadenersatz, und nach welchen Regeln?

Eine eindeutige Antwort darauf steht noch aus, zwei Linien zeichnen sich, so zeigte die heutige Diskussion, ab: die einen meinen, der Staat könne sich nicht durch vertragsrechtliche Konstruktionen aus seiner verfassungs- und menschenrechtlichen Verantwortung stehlen, Fehlverhalten von Privaten, die in den staatlichen Vollzug eingebunden sind, wäre nach öffentlich-rechtlichen Regeln abzuhandeln. Das würde zB. bedeuten: jedes Fehlverhalten eines G4S-Mitarbeiters in der neuen Schubhaft-Anstalt Vordernberg wäre dem Staat zuzurechnen, mit Richtlinien- oder Maßnahmenbeschwerde zu bekämpfen – und allenfalls nach dem Amtshaftungsgesetz zu entschädigen.

Die anderen meinen: ohne Beamte – oder zumindest ohne gesetzliche „Beleihung“ von Privaten mit öffentlichrechtlichen Aufgaben – könne das Fehlverhalten von Privatangestellten nie und nimmer eine „Maßnahme“ im öffentlich-rechtlichen Sinn sein, gegen etwaiges Fehlverhalten von G4S-Mitarbeitern zB könnten sich Betroffene daher nur zivil- und strafrechtlich zur Wehr setzen, aber nicht in einem öffentlichrechtlichen Verfahren, und vor allem: es gäbe keine Amtshaftung, nicht die Republik, sondern das private Unternehmen, wenn nicht die private Person an sich, müssten im Fall des Falles Entschädigung leisten.

Diese beiden Modelle haben wesentliche praktische Konsequenzen: in einem öffentlich-rechtlichen Beschwerdeverfahren über eine sogenannte Maßnahmenbeschwerde wäre das örtlich zuständige Landesverwaltungsgericht von sich aus („von amtswegen“) angehalten, alle wesentlichen Fakten zu ermitteln, Akten beizuschaffen, Zeugen zu finden, zu laden und zu vernehmen. Die Wahrheitsfindung wäre eine öffentlich-rechtliche Aufgabe (so sieht das bisher auch der Eurpäische Menschenrechtsgerichtshof, EGMR, der eine besondere staatliche Verpflichtung zur aktiven Aufklärung von Misshandlungsvorwürfen annimmt, etwas unsauber formuliert heißt das: kommt wer in Haft zu Schaden, muss der Staat sich freibeweisen und nicht der Häftling ein Verschulden des Staates oder von staatlichen Organen beweisen). In einem Zivilprozess müsste hingegen der Betroffene als Kläger allein alles Relevante vorbringen und vor allem allein den Beweis eines Fehlverhaltens erbringen – was wesentlich schwerer ist und nebenbei mit erheblich höherem Kostenrisiko verbunden wäre. Und: im Falle des Obsiegens könnte ein privates Unternehmen, eine Privatperson gar, wesentlich schneller in Konkurs gehen (und der Geschädigte damit um Schadenersatz „umfallen“) als die Republik Österreich im Falle der Amtshaftung.

Klärung wird wohl erst ein durch alle Instanzen, womöglich bis zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) oder zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) geführtes Beschwerdeverfahren bringen – das kann und wird voraussichtlich mehrere Jahre dauern. Fraglich dabei ist u.a., ob in der menschenrechtlich hochsensiblen Frage des Freiheitsentzuges rein zivilrechtlicher Rechtsschutz eine „wirksame Beschwerde“ im Sinn des Art 13 EMRK darstellt oder nicht.

2.:
Kritiker jedenfalls befürchten, dass sich der Staat durch privatrechtliche Konstruktionen, konkreter: durch das Auslagern von staatlichen Aufgaben an private Unternehmen auch im grundrechtssensiblen Bereich, seiner rechtlichen und politischen Verantwortung begibt, und dass Geschädigte es deutlich schwerer haben als bisher, im Fall des Falles zur Gerechtigkeit und zu Schadenersatz zu gelangen.

Und das führt zum zweiten Aspekt, nämlich der regelmäßig unwirschen, ja fast schon beleidigten Frage, warum man denn schon im Vorfeld einer neuen Regelung Kritik an mangelnden Regeln und Überlegungen zum Rechtsschutz übe, statt doch bitte erst einmal die Praxis abzuwarten:

Was ist denn der Kern jeder solchen Kritik? Jeder Jurist, jede Juristin weiß: die Frage nach dem Rechtsschutz setzt immer(!) an der Möglichkeit an, dass sich jemand nicht an Regeln hält. Wenn und solange von allen Beteiligten alle Regeln eingehalten werden, sei es das Strafgesetzbuch, die Straßenverkehrsordnung oder aber ein Mietvertrag, braucht es keinen Rechtsschutz. Aber JuristInnen wissen auch: eine Regel, die gegen die nie verstoßen wird, ist entweder vollkommen unnötig – oder sie existiert nicht. Anders gesagt: JuristInnen, die nicht grundlegende Erkenntnisse ihrer Wissenschaft über Bord werfen oder geflissentlich ignorieren, stellen die Frage nach dem Rechtsschutz immer – völlig unabhängig davon, für wie wahrscheinlich sie einen Regelverstoß halten! Die Frage nach dem Rechtsschutz enthält keine Unterstellung, keine Vermutung über die Möglichkeit eines Regelverstoßes oder seine mögliche Häufigkeit, sie nicht zu stellen, wäre vielmehr juristisch unsauber, ja unlauter.

Deshalb, geschätztes p.t. Publikum: wo immer Ihnen dieses Argumentationsmuster unterkommt und von wem auch immer es grade verwendet wird – von einem Vertragspartner, von einer Ministerin oder einem Anwalt: seien Sie misstrauisch! Die Frage nach der konkreten Ausgestaltung des jeweiligen Rechtsschutzes ist kein Beweis des Misstrauens, sondern einer der (juristischen) Aufrichtigkeit und der Vernunft. Wer Ihnen weismachen will, solche Fragen wären eine Unterstellung, versucht bestenfalls, Sie moralisch unter Druck zu setzen – oder er weiß es wirklich nicht besser, dann versteht er aber eine Grundregel unseres Rechtssystems so ganz und gar nicht.

In beiden Fällen ist besondere Vorsicht angebracht.

PS.:
die Podiumsveranstaltung wurde am 13.01.2014 dankenswerterweise abgehalten von der Kanzlei Lansky, Ganzger + Partner. Und: den Ministeriumsvertreter nenne ich deshalb nicht namentlich, weil es sich im politischen Diskurs gern verwendete, typische und nicht individuelle Argumentation (wenn auch, wie dargestellt, nicht um eine juristische) handelt, ich kritisiere nicht die Person, sondern das Muster.

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