Warum der Wirbel um die Mariahilfer Straße für die Grünen trotz alledem eine große Chance ist.

Glaubt man manchen Medien, hängt die politische Zukunft von Maria Vassilakou, wenn nicht überhaupt der Grünen Wien, vom Ausgang der Befragung über die Mariahilfer Straße ab. Das scheint deutlich übertrieben. Vielmehr haben die Grünen gerade jetzt eine große Chance.

In wenigen Wochen haben die BewohnerInnen des 6. und 7. Bezirks die Möglichkeit, zu bestimmen, wie es mit der Mariahilfer Straße weitergehen soll. Lassen wir mal die vielen pros und contras beiseite und überlegen, was danach kommt:

Was wäre denn, wenn….

a) sich die Mehrheit gegen die „MaHü-Neu“ ausspricht – was hieße das?

1: Verkehrsberuhigung wird Wien-weit für einige Jahre nicht mehr möglich sein, alles, was dazu derzeit noch in Planung ist, wird wohl auf einige Zeit aufgeschoben werden. Das wäre schade, aber kein Weltuntergang. Es gibt – auch für die Grünen – in Wien noch andere, wichtige Themen und Projekte.

2: basisdemokratische Mitbestimmung bei regionalen Projekten wäre, insbesondere in Wien, für eine Weile „megatot“, kein/e Politiker/in käme in den nächsten Jahren mehr auf die Idee, irgendwen zu irgendwas zu befragen. Auch das wäre schade, beträfe aber nicht nur die Grünen, ihnen gäbe es ironischerweise sogar mehr politische Handlungsfreiheit als bisher: auch von ihnen würde niemand mehr erwarten, weitere basisdemokratische „Experimente zu starten“, kaum jemand könnte sie die nächsten Monate oder Jahre dafür kritisieren, andere Projekte einfach „durchzusetzen“.

3: es würde Rücktrittsaufforderungen gegen Maria Vassilakou hageln, denen sie wohl nicht nachkommen würde, warum auch? Sie und die Grünen hätten genau das getan, was sie vor der Wahl angekündigt haben, punktum. Sicherlich gäbe es auch kübelweise Häme in den Medien – und noch einmal den Vorwurf, die Grünen wären eine Chaostruppe. Aber das gehört zur Politik: if you can’t stand the heat, stay out of the kitchen. Und es funktioniert auch nicht ewig, das politische Gedächtnis ist besonders kurz. Als Aufhänger für „negative-campaigning“ wäre das Thema „MaHü“ spätestens nach einigen Monaten gegessen, sogar deutlich schneller als im Fall eines „positiven“ Ausgangs, weil der nämlich noch etliche Umsetzungsmaßnahmen nach sich ziehen würde, ein negatives Ergebnis aber rasch und endgültig umgesetzt werden kann (alte Schilder wieder aufgestellt, Straßenverkehr freigegeben, fertig).

4: die Grünen in Wien würden daher zwar für einige Zeit eine ordentlichen Dämpfer erhalten, aber wahlentscheidend wäre der bei den nächsten Wiener Wahlen wohl nicht: Bruno Kreisky hat nach seiner größten politischen Niederlage (Zwentendorf) noch einmal eine Absolute für die SPÖ geholt, wenn ich mich richtig erinnere, sogar das historisch beste SPÖ-Ergebnis ever. Für die nächsten Wien-Wahlen dürfte eine dann mehr als ein Jahr zurückliegende Befragung wenig ausmachen, jedenfalls, was die Entscheidung der einzelnen WählerInnen betrifft. Begünstigt sind die Grünen auch dadurch, dass sie ihre bisherigen Erfolge recht bescheiden gefeiert haben – das würde es ihnen leichter machen als anderen, im Fall des Falles zu sagen: „ok, das haben wir nicht gut gemacht, aber deshalb geht die Welt nicht unter“.

b) Was würde dagegen ein Ausgang „pro-MaHü-neu“ (mit oder ohne Querungen, mit oder ohne Radler in der Fuzo, das wäre dann ziemlich egal) bedeuten?

1: einen Erfolg, der den Grünen medial wohl allein zugeschrieben würde: die SPÖ hat sich von diesem Projekt schon zu deutlich verabschiedet, als dass es Häupl gelingen könnte, sich nachträglich zum Vater dieses Erfolges zu erklären (versuchen müsste er es: es wäre das dritte große Projekt nach dem 365-Ticket und der Parkpickerl-Ausweitung, das die Grünen umgesetzt hätten, in der öffentlichen Wahrnehmung steht dem bislang kein einziges der SPÖ gegenüber. Das ist zwar unfair, weil auch die SPÖ intensiv arbeitet, der Wirbel um die MaHü macht es aber fast unmöglich, das wahrzunehmen). Gefühlt wäre dieser Erfolg wäre noch größer, weil er gegen die veröffentlichte Meinung erzielt worden wäre.

2: auch deshalb: einen enormen Motivationsschub für die Grünen (nicht nur) in Wien, die derzeit sehr viel Energie (und Leute!) in die Kampagne rund um die MaHü stecken und sich deutlich bestätigt fühlen dürften. Siege, die gegen großen Widerstand errungen wurden, sind immer legendenverdächtig (Hainburg und Zwentendorf liegen Jahrzehnte zurück, dennoch sind sie für die Grünen immer noch geradezu identitätsstiftend).

3: die Grünen hätten ein brauchbares Argument mehr gegenüber der momentanen Opposition für die nächste Wahl: „Wir regieren, und wir können das – und was habt ihr bis jetzt getan?“.

So oder so machen die Grünen momentan auf jeden Fall eine (für jede Partei) gute Erfahrung: sie können mobilisieren und Kampagnen führen. Für mehrere Wochen Tag für Tag etliche Dutzend Leute für Hausbesuche im Ausmaß mehrerer Stunden auf die Straße zu bringen – anderen in Wien (vielleicht abgesehen von der SPÖ) dürfte das ziemlich schwer fallen. Mit Energie für ein bestimmtes Anliegen vorgetragene Kampagnen sind aber auch von großem Wert für’s Image: „Die tun was, die reden nicht nur“, dieser Eindruck hat bei ihren eigenen SympathisantInnen noch keiner Partei geschadet.

Kurzum: Die Grünen in Wien stehen entweder vor einer allgemein erwarteten, längst herbeigeschriebenen Niederlage – oder vor einem überraschenden, um so größeren Erfolg. Die Folgen eines negativen Ausgangs wären erfahrungsgemäß innerhalb einiger Monate zu bewältigen und wahrscheinlich bei den nächsten Wahlen kaum mehr zu spüren, ein positiver Ausgang könnte dagegen wesentlich stärkere und längerfristigere Wirkung haben.

Das nennt man gemeinhin eine Chance.

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